Zustimmung des Integrationsamtes zur krankheitsbedingten Kündigung begründet nicht die Vermutung, dass ein durchgeführtes Betriebliches Eingliederungsmanagement die Kündigung nicht hätte verhindern können.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit seinem Urteil vom 15. Dezember 2022 – 2 AZR 162/22 wiederholt klargestellt, dass der Arbeitgeber grundsätzlich vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchführen muss. Es genügt inzwischen – im Gegensatz zur früheren von der Rechtsprechung geduldeten Praxis – auch nicht mehr, erst kurz vor Ausspruch der Kündigung ein aktuelles BEM durchzuführen. Es muss regelmäßig – gegebenenfalls auch mehrfach – nach Erreichen von insgesamt 6 Wochen krankheitsbedingten Fehlzeiten innerhalb von 12 Kalendermonaten mit dem BEM begonnen werden.
Ein BEM ist nur dann entbehrlich (Beweislast des Arbeitgebers), wenn es sinnlos und ohne Aussicht auf Reduzierung der krankheitsbedingten Fehlzeiten wäre. Hier wäre man in der Argumentation des Arbeitgebers auf ärztliche Stellungnahmen angewiesen, was durchaus ein hohes Risiko darstellt.
In der o. g. Entscheidung des BAG stritten die Parteien über die Wirksamkeit einer ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung. Die Klägerin, einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt, war bei ihrem Arbeitgeber über 20 Jahre beschäftigt und im Kündigungszeitpunkt ca. 6 Jahre ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Nach ca. 5 Jahren hatte auf Initiative der Klägerin ein Präventionsgespräch stattgefunden, an dem auch Mitarbeiter des Integrationsamts teilnahmen. Der Arbeitgeber lud in dem Zusammenhang die Klägerin zu einem BEM ein. Es wurde aber nicht durchgeführt, da die Klägerin sich weigerte, eine vom Arbeitgeber vorformulierte Datenschutzerklärung unverändert zu unterschreiben.
Danach war die Klägerin 2 Monate bei ihrem Arbeitgeber im Rahmen einer stufenweisen Wiedereingliederung tätig. Der Arbeitgeber verlangte weiterhin als Voraussetzung für die Durchführung eines BEM immer wieder die Einwilligung zu seiner vorformulierten Datenschutzerklärung, wozu die Klägerin jedoch weiterhin nicht bereit war. Daraufhin wurde vom Arbeitgeber kein BEM durchgeführt und auch kein Erstgespräch begonnen. Stattdessen beantragte der Arbeitgeber beim Integrationsamt die Zustimmung zur beabsichtigten krankheitsbedingten Kündigung der Klägerin. Das Integrationsamt erteilte hierzu die Zustimmung, woraufhin der Arbeitgeber die fristgerechte krankheitsbedingte Kündigung aussprach.
Die erste Instanz gab dem Arbeitgeber Recht und hielt die Kündigung für wirksam, die zweite Instanz und auch das BAG sahen die Kündigung aber als unwirksam an.
Laut BAG war die krankheitsbedingte Kündigung unverhältnismäßig und damit sozial ungerechtfertigt. Der Arbeitgeber habe nicht dargetan, dass keine zumutbare Möglichkeit bestand, die Kündigung durch mildere Maßnahmen – insbesondere durch Durchführung eines BEM – zu vermeiden. Der Arbeitgeber sei nach § 167 Absatz II 1 SGB IX verpflichtet gewesen, der seit ca. 5 Jahren durchgehend arbeitsunfähig erkrankten Klägerin ein BEM anzubieten und durchzuführen. Dieser Verpflichtung sei er nicht ordnungsgemäß nachgekommen. Es sei dem Arbeitgeber auch ohne vorherige datenschutzrechtliche Einwilligung möglich und zumutbar, zunächst mit dem beabsichtigten BEM zu beginnen und mit dem Arbeitnehmer in einem Erstgespräch den möglichen Verfahrensablauf zu besprechen. Datenschutzrechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Erhebung und Verarbeitung von Gesundheitsdaten des Arbeitnehmers sind frühestens dann von Bedeutung, wenn sich die Beteiligten des BEM darüber verständigt haben, welche Angaben über den Gesundheitszustand für eine Reduzierung der Arbeitsunfähigkeitszeiten voraussichtlich erforderlich sind. Dann sollte aber auch dringend die Einwilligung zur Datenschutzerklärung eingeholt werden.
Bis zu diesem Zeitpunkt habe der Arbeitgeber aber die Einleitung des BEM-Verfahrens nicht davon abhängig machen dürfen, dass die Klägerin die vorformulierte Datenschutzerklärung über die Verarbeitung ihrer personenbezogenen sowie Gesundheitsdaten unterzeichnet.
Auch der Zustimmungsbescheid des Integrationsamts zur krankheitsbedingten Kündigung begründe keine Vermutung dafür, dass ein BEM eine Kündigung nicht hätte verhindern können. Eine solche Vermutungswirkung der Zustimmungsentscheidung des Integrationsamts finde bereits im Wortlaut des § 167 Absatz II SGB IX keine Stütze.
Fazit:
Auch diese Entscheidung des BAG reiht sich ein in die Rechtsprechung, wonach das BEM zwar rechtlich nicht als Wirksamkeitsvoraussetzung einer krankheitsbedingten Kündigung angesehen wird, aber in der Praxis der Arbeitgeber bei einer Nichtdurchführung des BEM ein sehr hohes Risiko hat, dass die Kündigung unwirksam sein wird. Daran ändert auch die Zustimmung des Integrationsamtes nichts. Wenn ein Arbeitgeber jedoch tatsächlich darlegen kann, dass ein BEM objektiv nutzlos gewesen wäre, darf ihm kein Nachteil daraus entstehen. Dies liegt aber in der Beweislast des Arbeitgebers und ist sehr schwer darzulegen und zu beweisen.
In diesem Zusammenhang erinnern wir gerne an das Muster zum Einladungsschreiben zu einer Maßnahme des BEM im Downloadpool. Gehen Sie kein Risiko ein! Verwenden Sie immer unsere anhand von Rechtsprechung oder Gesetzesänderungen aktualisierte Fassung.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwenden wir die männliche Form.
Wir meinen immer alle Geschlechter im Sinne der Gleichbehandlung.