Traditionsunternehmen in dritter Generation feiert 100-jähriges Bestehen – anlässlich des Jubiläums besuchte grosshandel-bw Geschäftsführer Ulrich Gutting und sprach mit ihm über die Firmengeschichte

Vor 100 Jahren gründete Erich Rempel ein Unternehmen, das Kraft- und Schmierstoffe vertreibt. Heute, ein Jahrhundert später, blickt das Traditionsunternehmen Minera Kraftstoffe – Mineralölwerk Rempel GmbH auf ein bewegtes und erfolgreiches Jahrhundert zurück, verfügt über 90 Tankstellen, ist in acht Bundesländern aktiv und gehört zu den großen regionalen Mineralölunternehmen.

Geschäftsführer Ulrich Gutting ist stolz auf diese lange Tradition, die eng mit seiner Familie verknüpft ist. „Wir sind ein Familienunternehmen in dritter Generation“, sagt er. „Mit meiner Tochter und meinem Schwiegersohn im Unternehmen startet nun die vierte Generation.“

Eigentlich wäre dies der Anlass für eine große Firmenfeier gewesen – doch die Pandemie durchkreuzte die Pläne. Anlässlich des stolzen Firmenjubiläums haben wir Ulrich Gutting in seinem Unternehmen besucht und mit ihm über die Firmengeschichte gesprochen.

Herr Gutting, wie waren die Anfänge des Unternehmens?

„Am 5. Juli 1921 von Erich Rempel in Heidelberg gegründet, zog das Unternehmen in den folgenden Jahren mehrfach um – bis im Jahr 1935 das heutige Anwesen in der Rhenaniastraße in Mannheim erworben wurde, das direkt am Rhein liegt und über eine eigene Anlegestelle verfügt. Mannheim bot sich an, da die Stadt bereits damals eine gute industrielle Infrastruktur hatte.

Leider gibt es wenige Dokumente aus dieser ersten Zeit. Diese aber bezeugen das stets wachsende Unternehmen. Ein Dokument aus dem Jahr 1930 belegt den Eintausch eines Braunwallachs gegen einen 5-jährigen Rappwallach, um den Fuhrpark wieder leistungsfähiger zu machen. Im Jahr 1932 kam dann die erste, wenn auch gebrauchte, Zugmaschine mit Brückenanhänger hinzu. Die Leistung betrug damals 36PS für eine anhängende Nutzlast bis 5 Tonnen und kostete insgesamt 4.500 Reichsmark. Ein Schiffsladeschein aus dem Jahr 1952 wurde in Rotterdam gezeichnet und dokumentiert den Transport von 820 Tonnen Gasöl in das firmeneigene Tanklager in Mannheim-Rheinau, denn damals gab es noch keine flächendeckende Raffinerie-Struktur.

Das Unternehmen wurde dann im Jahr 1961 an drei Enkel übergeben, wobei ich die Familie in der Geschäftsführung präsentiere. Über die ersten 50 Jahre Unternehmensgeschichte ist leider nicht sehr viel bekannt. Der Versuch, eine Chronik der Unternehmensgeschichte zu erstellen blieb leider erfolglos – viele Dokumente gingen durch Eigentümerwechsel und in den Kriegswirren verloren.“

In welchem Kontext entstanden damals die ersten Tankstellen?

„Als Bertha Benz 1888 mit ihrer rund 100 Kilometer langen Fahrt von Mannheim zur Großmutter nach Pforzheim einen Meilenstein der Automobilgeschichte setzte, musste sie noch Benzin von zu Hause mitnehmen. In den Anfängen des Automobils war das Geschäft mit dem Kraftstoff eine Nebeneinnahme und das Autofahren ein Luxus von Wenigen. Kraftstoff wurde damals privat gelagert oder von Händlern in Kanistern verkauft. Später kamen die ersten motorisierten Pritschenwagen als Tankwagen. Schließlich wurden Zapfgeräte entwickelt, die ein saubereres Abfüllen erleichterten. Sie waren Vorläufer der Benzinpumpen, die in den 1920er Jahren eingeführt wurden.

Mit zunehmendem Automobilverkehr wurden günstig gelegene Grundstücke für Service-Standorte unerlässlich und die Tankstellen entstanden. Die steigende Zahl von Kraftfahrzeugen brachte die nötige Kundschaft an die Zapfsäulen. 1950 gab es in Deutschland eine halbe Million Autos, 1960 fuhren 3,7 Mio. Kraftfahrzeuge auf Deutschlands Straßen, und 1970 bereits 13,5 Millionen.“

© minera

Historisches Bild mit klassischer Tankstellenarchitektur

War Ihnen schon früh klar, dass Sie in das Familienunternehmen einsteigen würden?

„Zur Schulzeit hatte ich noch kein klares Berufsziel vor Augen. Dem humanistischen Gymnasium folgte eine klassische Banklehre, die ich als bester Auszubildender des Instituts absolvierte. Ich hätte gleich in der Bank starten können, mir war aber klar, dass ich in das Familienunternehmen einsteigen würde.“

Gabe es damals schon so eine komplexe Preisgestaltung an den Tankstellen?

„Die Preisgestaltung an den Tankstellen war damals noch eine einfache Sache. Preiserhöhungen erfolgten einmal im Monat zentral, Senkungen lokal. Ich erinnere mich noch daran, wie früher die Schilder mit sechs Ziffern, die meist in drei oder vier Metern hingen, manuell geändert wurden. Kein Vergleich zu heute, wo der Pricing Manager auf das hoch komplexe System der Preisgestaltung per Software sekundenschnell reagieren muss.“

Welche politischen und wirtschaftlichen Einflüsse prägten Ihre Entwicklung der Tankstellen?

„Anfang der 70er Jahre kamen die Selbstbedienungstankstellen auf, zehn Jahre später hatten sie sich durchgesetzt. In den 80er Jahren wandelten sich die Tankstellen zu Mini-Supermärkten, in deren Verkaufsraum Zigaretten, Getränke und Speisen angeboten wurden. Oft war neben der Tankstelle eine Waschstraße angegliedert. Die Tankstelle in ihrer ursprünglichen Form gibt es nicht mehr. Denn ihre Funktion hat sich über die Jahrzehnte in Serviceleistungen und Angeboten stetig verändert.

Hinzu kamen prägnante Umweltschutzanforderungen, wie zum Beispiel in den 90er Jahren die Grundwasserverordnung, strenge Auflagen mussten in Folge umgesetzt werden. So mussten Tankstellenbetreiber unter anderem flüssigkeitsdichte Fahrbahnen zu den Tankstellen anlegen.

Die Ölkrisen 1973 und 1979 sowie der erste und zweite Golfkrieg wiederum führten zu drastischen Preisanstiegen der Benzinpreise. Wer zu diesen Krisenzeiten ein volles Lager hatte, machte enorme Gewinne.“

Welche Folgen hatte die Pandemie auf Ihr Geschäft?

„Die Pandemie führte zu 20-30% weniger Güterverkehr auf den Straßen, was natürlich zu wesentlich geringeren Einnahmen führte. Wir leben vom Mengengeschäft, unsere Marge liegt derzeit bei etwa 6-7 Cent Netto auf 100 Liter gerechnet. Bis heute hat sich der Güterverkehr nicht vollständig erholt.“

Welche Strategien verfolgen Sie derzeit?

„2019 haben wir zwei unserer Tankstellen als Pilot-Standorte auf Esso umgeflaggt. Die Geschäftsentwicklung hat uns überzeugt. Das Synergy-Design von Esso ist ein optischer Hingucker und das Feedback unserer Kunden war so positiv, dass wir uns entschlossen haben, den Schritt gemeinsam mit Esso zu gehen. Darüber hinaus ergeben sich aus dieser Partnerschaft langfristige Perspektiven, die uns zuversichtlich in die Zukunft schauen lassen – inzwischen wurden alle Tankstellen ins Netz von Esso aufgenommen.

Außerdem haben wir einige der unternehmenseigenen Tank- und Servicestationen umgestaltet und eine neue Kaffee-Genusswelt geschaffen. Dort wird nun der eigene, qualitativ hochwertige und geschmacklich besonders feine Baronero Kaffee serviert. In einer sich immer schneller drehenden Welt wollen wir den Besucher der Tankstelle zur Langsamkeit verführen und zum Verweilen einladen. Mit einem besonderen Raum- und Lichtkonzept, mit Möbeln aus Kaffeebaumholz, Bildern von und mit unseren Kaffeefarmern, leckeren Kaffeespezialitäten und einer Kleinigkeit zum Essen.

Was bedeutet Ihnen 100 Jahre Minera?

„Seit 40 Jahren bin ich in diesem Unternehmen und wie in jedem Unternehmen gab es nicht nur Erfolge zu verzeichnen, sondern auch das eine oder andere Hindernis zu überwinden. Was macht uns aber so besonders? Seit 100 Jahren begleiten wir Fortschritt, Mobilität, Wohlstand unserer Gesellschaft. Mit unseren Schmierstoffen bewegen wir Motoren und Maschinen. Mit unseren Kraftstoffen bewegen wir Menschen – in den 50er Jahren wäre ein Urlaub in Italien ohne Auto nicht möglich gewesen.

Dass wir heute so gut dastehen, ist nicht das Verdienst einer einzelnen Person, sondern die Summe aller Mitwirkenden in der Familiengeschichte und aller Mitarbeiter. Bertolt Brecht formulierte es trefflich in Fragen eines lesenden Arbeiters: „[…] Was ist mit jenen, die keine Geschichte schrieben, aber ohne die sie nicht geschrieben werden konnte. Sind diejenigen weniger beteiligt?“ 100 Jahre erfolgreiche Firmengeschichte – dies haben wir Dank aller Beteiligten erreicht – auch mit Hilfe derer, die heute keiner mehr kennt.“

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

„Nun, ich denke der Generationswechsel steht demnächst an. Dann kann ich mich mehr Kunst und Kultur widmen. Und als Präsident des Verbands weiter die Interessen der Mitglieder vorantreiben. Bestimmt werde ich weiterhin auf eine Tasse guten Kaffees bei meinen Tankstellen vorbeischauen. Vielleicht sogar mit meinem Mercedes-Benz 220 SE – das gleiche Modell das bereits Erich Rempel fuhr – und ein wenig die Geschichte des Unternehmens aufleben lassen.“

 

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwenden wir die männliche Form.
Wir meinen immer alle Geschlechter im Sinne der Gleichbehandlung.